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Pädagogische Grundlagen: Zukunftsorientiertes Lernen

Worum geht es beim zukunftsorientierten Lernen und wie hebt es sich vom zeitgemäßen Lernen ab? Was ist die Transformation des Lernens?

Was ist zukunftsorientiertes Lernen?

Beim zukunftsorientierten Lernen geht es darum, den Lernenden Autonomie zuzugestehen, damit sie Selbstwirksamkeitserfahrungen machen und ihr Handeln in einem für sie relevanten Rahmen wahrnehmen. So arbeiten Lernbegleitende auf einer anderen Ebene mit den Lernenden zusammen, verlassen die Rolle als Lehrperson und unterstützen die Gruppe vielmehr bei ihren Zielen und Plänen. Das Ziel ist, dass die Generation Alpha zu mündigen Mitgliedern der Gesellschaft heranwächst, die sich kreativ gemeinsam den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stellt und sie zum Wohle der Menschheit überwindet.
In den letzten Jahren wurde der Begriff „zeitgemäße Bildung“ oft mit Bezug auf die 4K (Kommunikation, Kollaboration, Kreativität, Kritisches Denken) verwendet, um die ideale Bildung im 21. Jahrhundert zu beschreiben (The Partnership for 21st Century Learning, 2015). Insbesondere die Covid-19-Pandemie hat jedoch demonstriert, dass das Konzept einer zeitgemäßen Bildung, d.h. die Anpassung des Lernens bzw. der Lehre an die veränderte gesellschaftliche Realität und die Allgegenwart von Technologie, nicht ausreicht. Schon vorher gab es bereits Anzeichen dafür, dass der Begriff der zeitgemäßen Bildung limitiert ist: Seit Jahren gibt es zahlreiche Fortbildungsangebote für zeitgemäße Bildung wie „Das iPad im Englischunterricht“, die zu implizieren scheinen, dass zeitgemäße Bildung viel mehr mit Technologie als mit der Zukunft der Gesellschaft zu tun hat. Darüber hinaus hat sich die Definition dessen, was als zeitgemäße Bildung gilt, in den letzten fünf Jahren stark auf bestimmte Aspekte reduziert, in erster Linie auf die Verwendung digitaler Geräte und die 4K in einem Lernumfeld, das sehr stark von einer Lehrkraft bestimmt und bewertet wird und daher nicht mehr mit dem gleichzusetzen ist, was es nach dem ursprünglichen Ideal hätte sein können. Aus diesem Grund sollte die Verwendung des Begriffs „zeitgemäße Bildung“ überdacht und in Anlehnung an eine neuseeländische Studie aus dem Jahr 2012 (Bolstad et al., 2012) durch den Begriff des zukunftsorientierten Lernens ersetzt werden.
Den neuseeländischen Forschenden zufolge war der Ende des 20. Jahrhunderts geprägte Begriff „21st century learning“ bereits 2012 problematisch, da er eher aktuelle Praktiken beschrieb, aber nicht (oder nicht mehr) visionär und zukunftsorientiert war. Im Jahr 2012 verwendeten sie dennoch den Begriff „zukunftsorientiertes Lernen“ oder „zukünftiges Lernen“ als Synonym für „zeitgemäße Bildung“, da der Begriff zu diesem Zeitpunkt in der Wissenschaft bereits etabliert war. Sie betonten jedoch, dass der Begriff für sie eine sich entwickelnde Sammlung von neuen Ideen, Überzeugungen, Wissen, Theorien und Praktiken darstellt. Insbesondere sahen sie „zukunftsorientiertes Lernen“ als eine Kombination aus einem neuen Verständnis von Wissen und neuen Erkenntnissen über das Lernen mit dem Ziel, das bestehende System zu dekonstruieren. Sie nannten die folgenden Grundprinzipien dieses neuen Systems: personalisiertes Lernen, ein neues Verständnis von Gerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion, eine Konzentration auf Kompetenzen, ein neues Verständnis der Rollen von Lernenden und Lehrenden, lebenslanges Lernen und die Einrichtung einer Zusammenarbeit zwischen Schulen und der Gemeinschaft. Neue Technologien und kollaborative Praktiken wurden als sekundäre Interessenbereiche genannt. Das Ziel bestand letztlich darin, die gewonnenen Erkenntnisse in das System zu integrieren und es so weiterzuentwickeln, dass die neuseeländischen Lernenden in der Lage sind, an ihrer persönlichen, nationalen und globalen Zukunft teilzuhaben und diese zu gestalten.
Zukunftsorientiertes Lernen, wie wir es definieren, berücksichtigt nach wie vor die 4K, ergänzt sie aber um andere, ebenso wichtige Elemente: um persönliche Kompetenz und Demokratiebildung. So werden aus den 4K die „6Cs of Deep Learning“ (Fullan & Scott, 2014). Und auch Zukunftskompetenzen gehören selbstverständlich zum zukunftsorientierten Lernen dazu (Fidler & Williams, 2016). Des Weiteren bewegt sich das zukunftsorientierte Lernen weg von der Technikzentrierung (Digitalisierung) und richtet sich stattdessen auf Human Digitality (Schuldt, 2024), die nächste Epoche nach der Industrialisierung, aus. Human Digitality bezeichnet das Verständnis menschlichen Lebens im Kontext allgegenwärtiger digitaler Technologien. Es konzentriert sich darauf, wie digitale Werkzeuge und Plattformen menschliche Erfahrungen, Fähigkeiten und gesellschaftliche Strukturen grundlegend umgestalten. Kurz gesagt, es beschreibt eine Zukunft, in der der Einsatz von Technologie es uns ermöglicht, wieder menschlicher zu werden.
Hinzu kommt: In einer Welt, in der Frieden nicht mehr selbstverständlich ist und die globale Gemeinschaft heutige wie künftige Herausforderungen, die Omnikrise (Horx, 2024), gemeinsam bewältigen muss, werden Fremdsprachen immer wichtiger. Zwar sind seit 2022 eine ganze Reihe erstaunlicher KI-Anwendungen wie z. B. ChatGPT auf den Markt gekommen – sodass man zunächst meinen könnte, wir müssten nun gar keine Fremdsprachen mehr lernen, um zu kommunizieren. Doch realistisch gesehen wird es noch lange dauern, bis ein maschineller Lernalgorithmus kulturelle Nuancen und Mentalitäten verstehen und übersetzen kann. Eine neue Sprache lernen: Das bedeutet, etwas über die eigene Identität und gemeinsame Werte zu erfahren und unterschiedliche Standpunkte zu verhandeln. Aus diesem Grund ist das Erlernen einer Fremdsprache kein Selbstzweck. Es muss in einem authentischen Umfeld stattfinden, in dem Lernende die Sprache zu einem bestimmten Zweck sprechen, der über die Bewertung hinausgeht, die sie dafür erhalten. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit Programmiersprachen bzw. der Sprache, der wir uns bedienen müssen, um erfolgreich mit Maschinen zu kommunizieren.
Sicher wird nicht jeder Mensch diese Gedanken zum neuen (alten) Begriff des zukunftsorientierten Lernens teilen. Doch eigentlich greift er sogar noch zu kurz. Zur Besinnung auf das, was Bildung leisten soll, empfiehlt es sich, ihn mit neuen Begriffen zu flankieren: mit Lerngruppe statt Klasse etwa, Lernumgebung statt Klassenzimmer, Lernende statt Schülerinnen und Schüler und Lernbegleitende statt Lehrer:innen. Das ist keine bloße Wortklauberei, denn die traditionelle Terminologie ist mit vielen vorgefassten Meinungen und historischem Ballast behaftet und macht eine Veränderung sehr schwierig (Wössner, 2022).
Trotz alledem ist auch zukunftsorientiertes Lernen kein Selbstzweck. Die Gestaltung der Zukunft erfordert auch, dass jeder Mensch über nachhaltige Entwicklung nachdenkt und sich viele weitere Fähigkeiten aneignet, wie z.B. Zukunfts- und Problemlösungskompetenz. Denn unser oberstes Ziel als Weltbürger:innen ist es, die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen, damit aktuelle und zukünftige Probleme von der Weltgemeinschaft gelöst werden können. Dies steht im Einklang mit dem OECD-Rahmen für das Lernen 2030, der die Bedeutung von Wissen, Fähigkeiten, Einstellungen und Werten hervorhebt, die in einem Lernkontext zur Entwicklung von Kompetenzen mit dem letztendlichen Ziel der Handlungsfähigkeit, einschließlich des Handlungswillens, in der Zukunft eingesetzt werden. (OECD, 2018).
Abbildung OECD Learning Framework 2030 | Quelle: OECD, 2018, S. 4 | adaptiert von PetiteProf79
Dieser erfahrungsbasierte Lern-, Kommunikations- und Kollaborationsraum, der auch ein humandigitaler Gestaltungsraum sein kann, kann viele Formen annehmen und Aspekte umfassen, wie etwa:

  • Design Thinking und Futures Thinking,
  • Fragen der nachhaltigen Entwicklung (SDGs)
  • und der persönlichen Entwicklung (IDGs),
  • Visionen für eine nachhaltige Zukunft unter Berücksichtigung von Zukunftskompetenz, Anpassungsfähigkeit und forschungsorientiertem Denken (s. GreenComp),
  • Extended Reality,
  • virtuelle Welten, Spiele und Game-based Learning.

In solchen Räumen finden immer auch Paradigmenwechsel statt: Selbstbestimmung tritt an die Stelle traditioneller Fremdbestimmung der Lernenden. Und: Die frühere Lehrperson wird Gestalterin oder Gestalter von Lernmöglichkeiten und zugleich auch selbst zum oder zur Lernenden. Lernmöglichkeiten zu schaffen, war schon immer Teil der Aufgabe einer Lehrkraft, sodass sich Werkzeuge zwar ändern mögen, aber die eigentliche Aufgabe und die damit verbundenen Qualifikationen dieselben bleiben (Rober, 2018).
Dies bedeutet auch, dass die traditionelle Fremdbestimmung der Lernenden durch Selbstbestimmung ersetzt wird.

Referenzen

  • Bolstad et al. (2012). Supporting Future-Oriented Learning and Teaching. New Zealand Government – Ministry of Education.
  • Fidler, D., & Williams, S. (2016). Future Skills: Update and Literature Review.
  • Fullan, M., & Scott, G. (2014). Education PLUS. The world will be led by people you can count on, including you!
  • Horx, M. (2024). Die Omnikrise. The Future:Project. Abgerufen am 23. Mai 2024, von https://thefutureproject.de/content/die-omnikrise/.
  • Huizinga, J. (1987). Homo ludens: vom Ursprung der Kultur im Spiel.
  • OECD. (2018). The Future of Education and Skills. Education 2030.
  • Rober, M. (2018, 31. Mai). The Super Mario Effect – Tricking Your Brain into Learning More [Video]. YouTube. [9:47 – 10:49]
  • Schuldt, C. (2024). Human Digitality. The Future:Project. Abgerufen am 23. Mai 2024, von https://thefutureproject.de/content/human-digitality/.
  • The Partnership for 21st Century Learning. (2015). Framework for 21st Century Learning.
  • Wössner, S. (2022). Alles nur Worte? Warum uns im Weg steht, wie wir über Bildung sprechen. ON. Lernen In Der Digitalen Welt, 8, 8–11.
  • Wössner, S. (2024). OECD Education 2030 explained. PetiteProf79. https://www.petiteprof79.eu/oecd-education-2030-explained/.